Fantasievolle Wendungen –
Joseph Haas zwischen russischer Seele und
argentinischem Tangogefühl
Es ist sehr verdienstvoll, dass sich die Joseph-Haas–Gesellschaft um das Werk des in Maihingen geborenen Komponisten Joseph Haas annimmt und regelmäßig auch an den Rieser Kulturtagen an ihn erinnert. Mit dem Saal des Schlosses Reimlingen fand sich wieder einmal ein Raum, der für Klavierabende im intimen Rahmen geeignet ist, dazu aber auch mit Gerit Lense eine Pianistin, die seit Jahren das Werk von Haas in ihren Konzerten bekannt und mit zwei CD-Einspielungen die Klavierkompositionen des ehemaligen Münchner Hochschullehrers zugänglich macht. Interessant war die Zusammenstellung des Konzertprogramms, in dem Haas im ersten Teil neben andere Komponisten des 20. Jahrhunderts gestellt wurde. Seine beiden „Sonatinen in G-Dur und F-Dur“ wiesen ihn als vorbildlichen Kompositionslehrer aus, der klar und fast akademisch arbeitete, ohne viele Umschweife und große Gesten,mit viel Sinn für melodische Gestaltung und für fantasievolle Wendungen in den Variationen. Er blieb stets emotional eher zurückhaltend, ganz im Gegensatz zu Alexander Skriabin, dessen „Etüden aus op. 8″ geradezu sinnlich wirkten und der Pianistin Gelegenheit gaben, ihre reichen Ausdrucksmöglichkeiten zur Geltung zu bringen.
Gemütvolle Gefühlswelt
So empfand man geradezu die „russische Seele“, deren gemütvolle Gefühlswelt sich in der Musik entfaltete. Dann tauchte Gerit Lense in eine völlig andere Musikwelt ein, für die sich Alberto Ginastera bei den „Danzas Argentinas“ von der argentinischen Folklore inspirieren ließ. Ähnlich wie bei Astor Piazolla leben die temperamentvollen Kompositionen von der Faszination des Tangos, dem pulsierenden Rhythmus und dem teils atemberaubenden Tempo. Die sonst eher ruhig wirkende Künstlerin nahm mit Freude die lebensfrohe Stimmung auf und feuerte das dafür schon fast zu klein dimensionierte Klavier mit fliegenden Fingern an und entlockte den Zuhörern eine langen Beifall. In eine beschauliche Romantik wurden sie von den „Hausmärchen“ des Joseph Haas versetzt. Gerade als wollte er die typischen Charaktere der Märchengestalten darstellen, reihte er neun Klavierstücke aneinander: Liedhaft erzählend, bewegt und lyrisch, gefährlich drohend und rätselhaft wandelnd stellte er die Figuren vor Augen und brachte auch den im Märchen üblichen versöhnlichen Schluss. Kaum hat ein Komponist eine ganze Pianistengeneration und weithin die folgende Klavierwelt so beeinflusst wie Franz Liszt, der eine schier unüberschaubare Zahl von Werken geschaffen hat. Daraus sind wohl nur wenige dabei, die seine Persönlichkeit so tief ergründen lassen wie die Annees Pelerinage (Suisse), in denen er die Gefühlseindrücke, die er in jungen Jahren auf seinen Reisen hatte, verarbeitete, vor allem eine glückliche Zeit in der Schweizer Bergwelt mit seiner Geliebten Marie d’Argoult. Die Offenbarung seiner Gefühle erweckte in ihm eine Musik, die in Naturschilderungen, folkloristischen Andeutungen, elegischen Sehnsuchtsmelodien die unterschiedlichsten Gemütszustände erfahren lässt. In famoser Weise faszinierte Gerit Lense ihr Publikum mit diesem bewegenden Werk als Höhepunkt eines abwechslungsreichen Konzerte.
Ernst Mayer in den „Rieser Nachrichten“ vom 19.05.2012
Tags: Gerit Lense, Pianistin, Schloss Reimlingen